Freitag, 30. Juli 2010
Traurige Gedanken.
sdodip, 11:13h
Ein großer Raum, der einer Halle gleicht und nur vom Glanz einzelner Kerzen erhellt wird, aufgereiht in einem Kerzenständer. Davor eine Gebetbank, im dunklem Farbton gehalten.
Absolute Stille beherrscht den Raum, nur ein leichter Windhauch zieht durch die Abendluft. Es ist schon spät und dennoch ist jemand in diesem Raum, in einer Ecke, die wenig erleuchtet schon fast finster wirkt.
Leise Tränen fließen an ihrem Gesicht entlang und betrüben die sonst so klaren blauen Augen. Sich der Kälte der Halle wohl bewusst zieht sie es vor, in der einsamen Ecke zu verweilen und den Kerzen zuzusehen.
Wurden diese Lichter entzündet, um Trost zu spenden, so erfüllten sie nun ihren Zweck. Mit dem Ärmel wischt sie sich die einzelnen Tränen weg und schaut in den Raum. Nur sie und die Kerzen, sonst niemand ist in der Kirche.
So wollte sie es ja. Sie hat diesen Ort für ihre Trauer gewählt. Ja sie fühlt noch immer eine große Traurigkeit. Diese will sie noch nicht verlassen, es ist, als würde es jedes Jahr aufs neue passieren. Jedes Jahr zur selben Zeit. Jedes Jahr, dann, wenn der Oktober beginnt und sich in quälende Länge zieht.
Durch eine Dummheit der Mutter noch stärker daran erinnert fühlt sie, wie sich die Traurigkeit wieder um ihr Herz zu schließen scheint. Je mehr sie weint, desto schwerer scheint es aufzuhören. Ihre Gedanken erleben alles von vorn, so als wenn es gestern war, oder sogar erst vor ein paar Stunden.
Sie erinnert sich noch stark an dem Tag. Den Tag, einen Tag, an dem sie mit der Klasse noch auf der Besinnungsfahrt war. Der Tag, an dem sie weinte. Weinte aus einem Grund, den sie sich nicht erklären konnte. Als wenn etwas von ihr gehen würde. Etwas, das ihr wichtiger war als alles andere.
Es war, als wenn ein Band zerreißen würde, ein unsagbarer Schmerz.
Weiter erinnert sie sich an den nächsten Tag, die Heimfahrt. Ja, Heimfahrt wurde es genannt. Sie nannte es das Ende der Freiheit. So kam es ihr jedes mal vor, wenn sie nach Hause fuhr. Sie wollte sich nichts anmerken lassen, wurde freundlich abgeholt, irgendetwas fehlte.
Ihr Onkel war anders als sonst, er war schweigsam. Bis er mit einem mal sagte, daß er fort sei. Fortgelaufen. Einfach so. Man suche schon nach ihm! Seit gestern ist er fort. Seit gestern? Da war doch was? Ja gestern war der Tag, an dem sie weinte! Die Erinnerung ist hellwach.
Die Mutter weinte, sie weinte um sich, weil sie ohne ihn nicht sein wollte. Er gehörte ihr. Er darf nicht fortlaufen. Ich gab ihr Trost. Sie nahm die Stütze an wie einen Rettungsanker. Die Mutter brauchte sie jetzt.
Es war ein Freitag Abend, an dem sie Heim kehrte. Ein Freitag Abend, an dem sie sich in ihr Zimmer verkroch und dort im Dunkeln ein Lied sang. Ein Lied, das die Sehnsucht in ihr zeigte. Der Text war nicht ganz passend, doch der Titel tat es umso mehr. "Wish you were here!" was sollte sie sich auch sonst wünschen?
Das Lied kam nur schmerzhaft über ihre Lippen, so als wenn sie wüsste, daß er für länger fort sein würde. Für viel, viel länger. Die Nacht hatte sie damals unruhig verbracht und am nächsten Morgen gefragt, was los sei. Den Alltag könne sie so nicht wieder aufnehmen, er fehlte immer noch.
Samstag Morgen und die Polizei vor der Tür. Die wenigen Worte des Polizisten, die sie mitbekommen konnte, waren genug. Mehr als genug. Es war wie eine Bestätigung dessen, was sie schon am Donnerstag gespürt hatte. Der große Schmerz. Die Verbundenheit.
Der Stiefvater fuhr in die Klinik, viel konnte er dort nicht machen, nur eine Bestätigung, daß unsere Vermutungen stimmten. Er war schon öfters mal fortgelaufen, aber immer wieder war er heimgekehrt. Ob freiwillig oder nicht sei dabei dahingestellt.
Diesmal hatten wir es gespürt, es war ein endgültiges Fortsein. Es war ein für immer! Den größten Schmerz aber bereitete mir nicht das für immer, sondern daß es ein für immer ohne Abschied war. Es blieben Fragen wie: "Wieso? Weshalb? Warum?". Aber die Antworten darauf konnte sie sich auch denken. Es war einfach alles zuviel, das ganze Leben so wie es war.
Als Haushaltshilfe der Mutter, als seelische Stütze der Mutter, als Wutablass des Stiefvaters, als Beschützer der Schwestern. Ja es war ihm alles zuviel.
Die Erinnerung führt sie weiter. Nacht für Nacht. Tag für Tag. Es ist als verfolge es sie. Und sie wird es nicht los. Schon in Therapie gewesen und gedacht es würde gehen, es ist immer noch ein Schmerz, der unsagbar schwer ist. Schwerer als sie dachte.
Dabei ist es schon so lange her. Schon so lange, daß sie es gerade eben noch an den Fingern abzählen kann. Ein letztes mal noch. 10 Jahre. Für manche eine Ewigkeit, für sie ein Tag? Eine Stunde?
Plötzlich wird die Stille durchbrochen, jemand betritt den dunklen Raum, die Kirche. Dieser Jemand schaut sich um. Sie zieht ihre Jacke zusammen, ja die Person hat Recht, es ist Zeit wieder zu den anderen zurück zu kehren.
Zu den anderen, die alle auch diese Erinnerungen kennen. Zum Teil waren sie dabei, zum Teil trauern sie auch, jeder auf seine Art und Weise. Anscheinend niemand so sehr wie sie. Die meisten verstehen es auch nicht, es ist schwer für diese. So schlimm kann es nicht sein, oder?
Nein sagt sie sich, so schlimm ist es nicht!
Das Leben geht weiter und sie sieht am Horizont die klaren leuchtenden Farben der Sterne und des hell erleuchteten Mondes. Ein schöner Tag ist zu Ende. Ein Tag, an dem sie wieder einmal in Erinnerungen versunken war. Ein Tag aber, der sie wieder ein Schritt weiter in ihrer Trauerarbeit gebracht hat.
Ja, das Leben geht weiter und sie zieht sich aus dem Trauerloch heraus in die fröhlich Gute-Laune-Stimmung, die sie immer dann aufsetzt, wenn sie zu den anderen geht. Ja, Lachen ist gesund!
Lg
Eure Nica
Absolute Stille beherrscht den Raum, nur ein leichter Windhauch zieht durch die Abendluft. Es ist schon spät und dennoch ist jemand in diesem Raum, in einer Ecke, die wenig erleuchtet schon fast finster wirkt.
Leise Tränen fließen an ihrem Gesicht entlang und betrüben die sonst so klaren blauen Augen. Sich der Kälte der Halle wohl bewusst zieht sie es vor, in der einsamen Ecke zu verweilen und den Kerzen zuzusehen.
Wurden diese Lichter entzündet, um Trost zu spenden, so erfüllten sie nun ihren Zweck. Mit dem Ärmel wischt sie sich die einzelnen Tränen weg und schaut in den Raum. Nur sie und die Kerzen, sonst niemand ist in der Kirche.
So wollte sie es ja. Sie hat diesen Ort für ihre Trauer gewählt. Ja sie fühlt noch immer eine große Traurigkeit. Diese will sie noch nicht verlassen, es ist, als würde es jedes Jahr aufs neue passieren. Jedes Jahr zur selben Zeit. Jedes Jahr, dann, wenn der Oktober beginnt und sich in quälende Länge zieht.
Durch eine Dummheit der Mutter noch stärker daran erinnert fühlt sie, wie sich die Traurigkeit wieder um ihr Herz zu schließen scheint. Je mehr sie weint, desto schwerer scheint es aufzuhören. Ihre Gedanken erleben alles von vorn, so als wenn es gestern war, oder sogar erst vor ein paar Stunden.
Sie erinnert sich noch stark an dem Tag. Den Tag, einen Tag, an dem sie mit der Klasse noch auf der Besinnungsfahrt war. Der Tag, an dem sie weinte. Weinte aus einem Grund, den sie sich nicht erklären konnte. Als wenn etwas von ihr gehen würde. Etwas, das ihr wichtiger war als alles andere.
Es war, als wenn ein Band zerreißen würde, ein unsagbarer Schmerz.
Weiter erinnert sie sich an den nächsten Tag, die Heimfahrt. Ja, Heimfahrt wurde es genannt. Sie nannte es das Ende der Freiheit. So kam es ihr jedes mal vor, wenn sie nach Hause fuhr. Sie wollte sich nichts anmerken lassen, wurde freundlich abgeholt, irgendetwas fehlte.
Ihr Onkel war anders als sonst, er war schweigsam. Bis er mit einem mal sagte, daß er fort sei. Fortgelaufen. Einfach so. Man suche schon nach ihm! Seit gestern ist er fort. Seit gestern? Da war doch was? Ja gestern war der Tag, an dem sie weinte! Die Erinnerung ist hellwach.
Die Mutter weinte, sie weinte um sich, weil sie ohne ihn nicht sein wollte. Er gehörte ihr. Er darf nicht fortlaufen. Ich gab ihr Trost. Sie nahm die Stütze an wie einen Rettungsanker. Die Mutter brauchte sie jetzt.
Es war ein Freitag Abend, an dem sie Heim kehrte. Ein Freitag Abend, an dem sie sich in ihr Zimmer verkroch und dort im Dunkeln ein Lied sang. Ein Lied, das die Sehnsucht in ihr zeigte. Der Text war nicht ganz passend, doch der Titel tat es umso mehr. "Wish you were here!" was sollte sie sich auch sonst wünschen?
Das Lied kam nur schmerzhaft über ihre Lippen, so als wenn sie wüsste, daß er für länger fort sein würde. Für viel, viel länger. Die Nacht hatte sie damals unruhig verbracht und am nächsten Morgen gefragt, was los sei. Den Alltag könne sie so nicht wieder aufnehmen, er fehlte immer noch.
Samstag Morgen und die Polizei vor der Tür. Die wenigen Worte des Polizisten, die sie mitbekommen konnte, waren genug. Mehr als genug. Es war wie eine Bestätigung dessen, was sie schon am Donnerstag gespürt hatte. Der große Schmerz. Die Verbundenheit.
Der Stiefvater fuhr in die Klinik, viel konnte er dort nicht machen, nur eine Bestätigung, daß unsere Vermutungen stimmten. Er war schon öfters mal fortgelaufen, aber immer wieder war er heimgekehrt. Ob freiwillig oder nicht sei dabei dahingestellt.
Diesmal hatten wir es gespürt, es war ein endgültiges Fortsein. Es war ein für immer! Den größten Schmerz aber bereitete mir nicht das für immer, sondern daß es ein für immer ohne Abschied war. Es blieben Fragen wie: "Wieso? Weshalb? Warum?". Aber die Antworten darauf konnte sie sich auch denken. Es war einfach alles zuviel, das ganze Leben so wie es war.
Als Haushaltshilfe der Mutter, als seelische Stütze der Mutter, als Wutablass des Stiefvaters, als Beschützer der Schwestern. Ja es war ihm alles zuviel.
Die Erinnerung führt sie weiter. Nacht für Nacht. Tag für Tag. Es ist als verfolge es sie. Und sie wird es nicht los. Schon in Therapie gewesen und gedacht es würde gehen, es ist immer noch ein Schmerz, der unsagbar schwer ist. Schwerer als sie dachte.
Dabei ist es schon so lange her. Schon so lange, daß sie es gerade eben noch an den Fingern abzählen kann. Ein letztes mal noch. 10 Jahre. Für manche eine Ewigkeit, für sie ein Tag? Eine Stunde?
Plötzlich wird die Stille durchbrochen, jemand betritt den dunklen Raum, die Kirche. Dieser Jemand schaut sich um. Sie zieht ihre Jacke zusammen, ja die Person hat Recht, es ist Zeit wieder zu den anderen zurück zu kehren.
Zu den anderen, die alle auch diese Erinnerungen kennen. Zum Teil waren sie dabei, zum Teil trauern sie auch, jeder auf seine Art und Weise. Anscheinend niemand so sehr wie sie. Die meisten verstehen es auch nicht, es ist schwer für diese. So schlimm kann es nicht sein, oder?
Nein sagt sie sich, so schlimm ist es nicht!
Das Leben geht weiter und sie sieht am Horizont die klaren leuchtenden Farben der Sterne und des hell erleuchteten Mondes. Ein schöner Tag ist zu Ende. Ein Tag, an dem sie wieder einmal in Erinnerungen versunken war. Ein Tag aber, der sie wieder ein Schritt weiter in ihrer Trauerarbeit gebracht hat.
Ja, das Leben geht weiter und sie zieht sich aus dem Trauerloch heraus in die fröhlich Gute-Laune-Stimmung, die sie immer dann aufsetzt, wenn sie zu den anderen geht. Ja, Lachen ist gesund!
Lg
Eure Nica
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