Freitag, 30. Juli 2010
Trauerarbeit
Und auch jetzt ist es mir nah.

Jedes Jahr ungefähr zur selben Zeit fängt es an, eine stille Traurigkeit zieht sich über mein Herz und lässt meine Augen ab und zu noch feucht werden. Dabei ist es schon so lange her.

Manches mal steht die Erinnerung neben mir als wenn es erst gestern war. Die Fahrt nach Rulle, die Tränen an dem besagten Donnerstag, der Heimweg am Freitag. Das Fehlen des Bruders. Der Polizist am Samstagmorgen etc.

Es liegt schon 11 Jahre zurück. 11 lange Jahre in denen viel geschehen ist und in denen ich viel gelernt habe. Ich habe gelernt die Tränen nicht zu unterdrücken, wie ich es damals tat. Sondern sie zu gewähren denn Trauer ist keine Schande. Ich brauche auch nicht stark sein und lächeln wenn ich traurig bin. Nein, ich darf die Trauer rauslassen.

Ich brauche nicht mehr die Stütze meiner Mutter sein, der Sonnenschein der selbst in den unmöglichsten Situationen stark ist. Ich muss stark bleiben das ist klar aber stark auf anderer Art und Weise.

Stark bedeutet nicht, dass ich nicht weinen darf, sondern stark heißt, dass ich trauern darf aber auch selbst wieder aus dieser Trauer herausfinde. Und das schaffe ich mittlerweile ganz gut.

Heute Morgen spüre ich ein teil der Trauer die sich in mir noch vergräbt. Ich merke das die Erinnerung mir sehr nahe ist, aber nicht so nahe das sie mich in ein schwarzes Loch ziehen würde wie es über ein paar Jahre der Fall war, sondern sie ist da, im normalen Maß.

Das man es nicht vergisst dürfte für jeden Logisch sein. So etwas kann man nicht vergessen. Vor allem aber nicht das Bild das man vor Augen hatte. Auch vergesse ich nicht, dass ich das Bild gar nicht sehen wollte. Da kommt nun zu der Trauer noch ein anderes Gefühl. Ein Gefühl der Wut. Wut, wütend darüber, das ich dieses Bild sehen musste. Das Bild, wie der Sarg offen stand.

Das war nicht er, das war nicht mein Bruder so wie ich ihn kannte. Und dabei wollte ich ihn in Erinnerung halten wie ich ihn kannte. Aber die Nachbarn hätten damals reden können, wenn ich nicht dabei gewesen wäre. Und sie wollte ja unbedingt dass der Sarg noch offen war. Er sollte nicht zu.

Das Gerede der Nachbarn war also der Grund dafür dass ich das Bild nun immer wieder vor Augen habe. Das Bild das ihn zeigt wie er da liegt. Wie ein Fremder für mich. Manches mal war er für mich auch ein Fremder, wenn wir nicht an ihn heran kamen. Er hat vieles in sich hineingefressen was hätte raus müssen. Er war für sich allein. Lebte in seiner Welt und ließ nicht zu das jemand diese mit ihm teilte, ob er wusste das diese Welt gefährlich ist?

Zu der Wut aber kommt noch ein Gefühl. Das Gefühl der Hilflosigkeit. Warum hilflos? Weil ich damals mich so fühlte. Ich konnte nicht dagegen an, ich fühlte mich Hilflos und wollte nur weg, das Ganze nicht miterleben. Es war alles wie ein böser Traum und wenn ich mich kneife ist alles wieder in Ordnung. Aber so war es nicht. Ich konnte mich kneifen soviel ich wollte der Schmerz blieb spürbar.

Was bestimmt nun keiner verstehen wird, ist ein Gefühl der Ruhe. Eine Ruhe die ich erst lernen musste. Diese Ruhe hilft mir, die drei vorangehenden Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Eine Ruhe die mir sagt: Es ist gut dass du trauerst aber das Leben geht weiter und hält schöne Dinge für dich bereit. Diese Ruhe ist nicht zu vergleichen mit der Leere die ich damals fühlte. Eine Ruhe die mir wärme bringt. Dann gehe ich zu meinem Freund und meinen Hund und knuddel beide, sofern sie es zulassen und es geht mir wieder besser.

Im Oktober Eure Nica

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